Montag, 7. Dezember 2009

Marokkos Frauen gehen in die Politik

Vor zehn Jahren ist in Marokko Mohammed VI. als Modernisierer angetreten. Die Erfolge sind unübersehbar – trotz Kritikern.
Wer ist Fatima Boujnah? Ein Mädchen vom Land, geboren in einem Dorf im Atlasgebirge, gerade 21 Jahre alt. Seit ein paar Tagen ist die junge Berberin mit dem grünen Kopftuch Bürgermeisterin der Kleinstadt Tizeght (4756 Einwohner) und damit das jüngste Stadtoberhaupt in ganz Marokko. Der Gemeinderat hat sie gegen einen männlichen Kandidaten der Unabhängigkeitspartei Istiqlal mit neun zu vier Stimmen ins Amt gewählt. Vorher war Fatima Boujnah freilich den Talentsuchern von Fouad Ali al-Himma aufgefallen, der sich mit viel Energie daran gemacht hat, die politische Landschaft Marokkos von Grund auf zu modernisieren.

Grosse Probleme bei der Schulbildung

Vor knapp einem Jahr hat Himma, Schulfreund und engster Vertrauter des Königs, die Partei Authenticité et Modernité (PAM) gegründet. Bei den Kommunalwahlen Mitte Juni schnitt sie besser ab als alle anderen Parteien. Besonders starke Verluste fuhren die gemässigten Islamisten ein (7,5 Prozent der Stimmen). Diesmal entfielen insgesamt 18,7 Prozent der Stimmen auf Kandidaten der PAM – unter ihnen Fatima Boujnah. Die neue Bürgermeisterin von Tizeght steht für die Hoffnung auf die dringend notwendige Verbesserung der Schulbildung: Sie hat die Oberschule abgeschlossen, was der überwiegenden Mehrheit der jungen Marokkaner, besonders den Mädchen, verwehrt ist. Nach offiziellen Angaben kann rund ein Drittel der Jugendlichen nicht lesen und schreiben.

Himmas Partei hat auch die neue Bürgermeisterin von Marrakesch aufgestellt: Die 33-jährige Rechtsanwältin Fatima Zahra Mansouri setzte sich im Gemeinderat mit 54 zu 35 Stimmen gegen den bisherigen Amtsinhaber durch. Mansouri stammt wie Himma aus einer Familie mit engen Beziehungen zum Königshof. Zum ersten Mal regiert eine Frau eine Millionenstadt – ein riesiger Schritt, wenn man bedenkt, dass es bis vor sechs Jahren überhaupt keine Bürgermeisterinnen im Königreich gab. Kurz vor dem zehnjährigen Thronjubiläum von Mohammed VI. kommen Signale aus Marokko, die auf eine Fortsetzung der Modernisierung deuten.

Eine Königin mit Vorname

Als Hassan II am 23. Juli 1999 nach 38-jähriger Herrschaft starb, war das Land in seinen Entwicklungen erstarrt. Der Thronfolger ersetzte den gefürchteten Innenminister Driss Bassri durch seinen Schulfreund Himma und förderte die gesellschaftliche Modernisierung. Der königliche Harem, in dem die Frauen seines Vaters, aber auch 20 gealterte Konkubinen seines Grossvaters lebten, wurde aufgelöst. Zwei Jahre später nahm Mohammed VI., wegen seiner Liebe zum Wassersport (Jetski) auch «Majetski» genannt, eine Informatikerin aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen zur Frau. Prinzessin Lella Salma ist die erste Königsfrau in Marokko, die im Land nicht nur als eine vornamenslose Mutter der Prinzen bekannt ist.

Ein neues Familienrecht westlichen Zuschnitts, die Mudawana, ist der bislang grösste Beitrag des mit 46 Jahren immer noch recht jungen Königs zur Modernisierung Marokkos. In der Regierung (deren reale Macht vom Hofapparat, eingeschränkt ist) sitzen junge, unverschleierte Frauen in strategisch wichtigen Ressorts.

Bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen galt erstmals eine Frauenquote von zwölf Prozent für die Gemeinderäte. Wirtschaftlicher Stillstand, mangelnde Sozialpolitik und wachsende Armut stärken die Gegenkräfte in einem Mass, das sich nur schwer quantifizieren lässt, da Marokko noch lange kein demokratischer Rechtsstaat ist. Niemand weiss etwa zu sagen, wie stark die Islamisten im Land wirklich sind.

«Das grosse Missverständnis»

Zum Thronjubiläum sind in Frankreich zwei Bücher erschienen, deren Autoren aus unterschiedlicher Perspektive eine Zwischenbilanz zu ziehen versuchen. Ali Amar kritisiert «das grosse Missverständnis»: Der Journalist zeichnet das Porträt einer kritischen, ungeduldigen, frustrierten Jugend und einer gleichgültigen, in Luxus verliebten Oberschicht mit dem König an der Spitze. Der Historiker Pierre Vermeren spricht von einem «unvollendeten Übergang». Einerseits sei das Bevölkerungswachstum verlangsamt, was den Bildungsanstrengungen mehr Aussicht auf Erfolg gebe. Anderseits habe Marokko derart ausgeprägte strukturelle Schwächen, dass die Wirtschaftskrise noch lange nachwirken werde, wenn die Aussichten anderswo wieder heller geworden seien. Daran wird auch die verbesserte Stellung der Frau nichts ändern.
Von Jacqueline Hénard, Paris. Aktualisiert um 09:46 Uhr

Vor zehn Jahren ist in Marokko Mohammed VI. als Modernisierer angetreten. Die Erfolge sind unübersehbar – trotz Kritikern.

Wer ist Fatima Boujnah? Ein Mädchen vom Land, geboren in einem Dorf im Atlasgebirge, gerade 21 Jahre alt. Seit ein paar Tagen ist die junge Berberin mit dem grünen Kopftuch Bürgermeisterin der Kleinstadt Tizeght (4756 Einwohner) und damit das jüngste Stadtoberhaupt in ganz Marokko. Der Gemeinderat hat sie gegen einen männlichen Kandidaten der Unabhängigkeitspartei Istiqlal mit neun zu vier Stimmen ins Amt gewählt. Vorher war Fatima Boujnah freilich den Talentsuchern von Fouad Ali al-Himma aufgefallen, der sich mit viel Energie daran gemacht hat, die politische Landschaft Marokkos von Grund auf zu modernisieren.

Grosse Probleme bei der Schulbildung

Vor knapp einem Jahr hat Himma, Schulfreund und engster Vertrauter des Königs, die Partei Authenticité et Modernité (PAM) gegründet. Bei den Kommunalwahlen Mitte Juni schnitt sie besser ab als alle anderen Parteien. Besonders starke Verluste fuhren die gemässigten Islamisten ein (7,5 Prozent der Stimmen). Diesmal entfielen insgesamt 18,7 Prozent der Stimmen auf Kandidaten der PAM – unter ihnen Fatima Boujnah. Die neue Bürgermeisterin von Tizeght steht für die Hoffnung auf die dringend notwendige Verbesserung der Schulbildung: Sie hat die Oberschule abgeschlossen, was der überwiegenden Mehrheit der jungen Marokkaner, besonders den Mädchen, verwehrt ist. Nach offiziellen Angaben kann rund ein Drittel der Jugendlichen nicht lesen und schreiben.

Himmas Partei hat auch die neue Bürgermeisterin von Marrakesch aufgestellt: Die 33-jährige Rechtsanwältin Fatima Zahra Mansouri setzte sich im Gemeinderat mit 54 zu 35 Stimmen gegen den bisherigen Amtsinhaber durch. Mansouri stammt wie Himma aus einer Familie mit engen Beziehungen zum Königshof. Zum ersten Mal regiert eine Frau eine Millionenstadt – ein riesiger Schritt, wenn man bedenkt, dass es bis vor sechs Jahren überhaupt keine Bürgermeisterinnen im Königreich gab. Kurz vor dem zehnjährigen Thronjubiläum von Mohammed VI. kommen Signale aus Marokko, die auf eine Fortsetzung der Modernisierung deuten.

Eine Königin mit Vorname

Als Hassan II am 23. Juli 1999 nach 38-jähriger Herrschaft starb, war das Land in seinen Entwicklungen erstarrt. Der Thronfolger ersetzte den gefürchteten Innenminister Driss Bassri durch seinen Schulfreund Himma und förderte die gesellschaftliche Modernisierung. Der königliche Harem, in dem die Frauen seines Vaters, aber auch 20 gealterte Konkubinen seines Grossvaters lebten, wurde aufgelöst. Zwei Jahre später nahm Mohammed VI., wegen seiner Liebe zum Wassersport (Jetski) auch «Majetski» genannt, eine Informatikerin aus einfachen bürgerlichen Verhältnissen zur Frau. Prinzessin Lella Salma ist die erste Königsfrau in Marokko, die im Land nicht nur als eine vornamenslose Mutter der Prinzen bekannt ist.

Ein neues Familienrecht westlichen Zuschnitts, die Mudawana, ist der bislang grösste Beitrag des mit 46 Jahren immer noch recht jungen Königs zur Modernisierung Marokkos. In der Regierung (deren reale Macht vom Hofapparat, eingeschränkt ist) sitzen junge, unverschleierte Frauen in strategisch wichtigen Ressorts.

Bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen galt erstmals eine Frauenquote von zwölf Prozent für die Gemeinderäte. Wirtschaftlicher Stillstand, mangelnde Sozialpolitik und wachsende Armut stärken die Gegenkräfte in einem Mass, das sich nur schwer quantifizieren lässt, da Marokko noch lange kein demokratischer Rechtsstaat ist. Niemand weiss etwa zu sagen, wie stark die Islamisten im Land wirklich sind.

«Das grosse Missverständnis»

Zum Thronjubiläum sind in Frankreich zwei Bücher erschienen, deren Autoren aus unterschiedlicher Perspektive eine Zwischenbilanz zu ziehen versuchen. Ali Amar kritisiert «das grosse Missverständnis»: Der Journalist zeichnet das Porträt einer kritischen, ungeduldigen, frustrierten Jugend und einer gleichgültigen, in Luxus verliebten Oberschicht mit dem König an der Spitze. Der Historiker Pierre Vermeren spricht von einem «unvollendeten Übergang». Einerseits sei das Bevölkerungswachstum verlangsamt, was den Bildungsanstrengungen mehr Aussicht auf Erfolg gebe. Anderseits habe Marokko derart ausgeprägte strukturelle Schwächen, dass die Wirtschaftskrise noch lange nachwirken werde, wenn die Aussichten anderswo wieder heller geworden seien. Daran wird auch die verbesserte Stellung der Frau nichts ändern.

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